Texte zur Malerei  

 

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Publikation: NIKE NEW ART IN EUROPE No 57 (1997)
Autor: Peter Wittenberg, Kunsthistoriker
Farb - Klang - Harmonien

Für Gisela Schuto ist das Bild ein Abenteuer, ein unkalkulierbares Risiko. Ihre Emotionen treffen die Entscheidungen während des Arbeitsprozesses, wobei es sicherlich immer wieder Arbeitsphasen gibt, in denen sich das Bild gleichsam aus sich selbst weitermalt, das heißt: Die Malerin gehorcht ihm. In einem Rhythmus von Errichten und Zerstören entsteht das Bild.
Was ist ein Bild? Die erste Entscheidung der Malerin, die ein Bild machen will, ist das Format: welche Höhe, welche Breite? Man könnte sich denken, daß schon allein das hochragende oder breit hingelagerte Rechteck die Malerin fasziniert und anregt, noch bevor sie den Bildgegenstand dazu gefunden hat ? So wie es etwa ein Dichter gelüstet , ein Sonett zu machen oder eine kleine Erzählung: Mit der Entscheidung über das Format ist das Feld abgesteckt, auf dem sich die zukünftige Komposition entwickelt. Hier sind es die Maße 55 x 59 cm; also jenes Kräftefeld aus Farben und Formen, das bei Schuto ein Drama sein kann oder ein Stück Harmonie. Sie legte sich im Laufe der Jahre ein paar Lieblingsformate zurecht; Schuto wählte sie richtig, so sind die Maße ihrer Vorstellung gleichsam adäquat.
Wenn der Betrachter sich diesen hier abgebildeten Bildern nähern will, so kann er nicht schon begangene Wege beschreiten und das alles erneut aufhäufen, was an Voraussetzungen für diesen unerwarteten und radikalen Schritt auf das Bild zu erwähnenswert ist. Ich bin davon überzeugt, auch Gisela Schuto würde davon abraten, denn sie hat das Marschgepäck, das sie geduldig getragen hat, inzwischen abgeworfen.

Diese Bilder sind nicht mehr das zwangsläufige Ergebnis von Vorleistungen - die mag es sicherlich gegeben haben - sie sind ihre ureigensten Empfindungen, auch ihre langjährigen Erfahrungen, die sie nun dem Bild vermittelt. Schuto hat in ihren Arbeiten drei Ebenen durchschritten: Die einer illusionistischen und aus der expressionistischen Traditionen stammenden Gegenständlichkeit, die einer neuen und sich materiell im Bild darstellenden Wirklichkeit und schließlich die einer im Bild selbst liegenden und visuell vergegenwärtigten Kraft - und dieser kommt Gisela Schuto innerlich am nächsten. Schuto ist über die Gegenständlichkeit und die von ihr inspirierte und manipulierte Materialität zu dem Bild selbst vorgestoßen, das allen ihren früheren Überlegungen zugrunde lag. Wenn sie vorher und vielleicht unbewußt vom Bild genommen und davon profitiert hat, so gibt sie in ihren jetzigen Arbeiten dem Bild nun ihre Erfahrungen zurück.

Es hat keinen Zweck, kunsthistorische, inhaltliche oder aktuelle Nachweise in diesen Bildern zu suchen. Nicht ihre Vision bestimmt das Bild, sondern das Bild selbst erzwingt den Abbruch oder die Korrektur von Tätigkeiten, die ihr nicht mehr dienlich sind. Ganz unabhängig davon, was wir heute von einem Bild erwarten, was wir ihm zumuten und aufnötigen, versucht hier eine Künstlerin nach langen und schmerzlichen Erfahrungen die Vorstellung von einem heute möglichen Bild zu verwirklichen. Der Betrachter nimmt die Bildelemente nicht nur als optischen Reiz auf, sondern er erfühlt das Materiell der Obefläche, die vom Auge in immer neuer Stimulanz abgetastet wird, so daß sich auch das Prozeßhafte des Gestaltungsaktes, das Werden des Bildes, nachspüren läßt.

In der Weise, wie das Auge das Bild erfährt, kann auch der Schaffensvorgang der Künstlerin beschrieben werden; dies gilt nicht nur für die vorliegenden Arbeiten. Jenseits aller Überlegungen erfolgt der Aufbau keiner vorbestimmbaren oder auch vorgedachten Komposition; vielmehr verändert sich die Gestaltung je nach Vorstellung, indem Schuto auf das bereits Gefertigte reagiert. Durch intuitives künstlerisches Kalkül gebändigt, entwickelt sie aus der Farbe die Form, trägt Schicht um Schicht auf, bis es zu einer kraftvollen Bildordnung kommt. Dieser Vorgang, bei dem der untere Malgrund nie vollkommen vom oberen überdeckt wird, suggeriert eine Räumlichkeit die aber nur dem Bild eigen ist und wenig zu tun hat mit der äußeren Wirklichkeit, dem erfahrbaren physikalischen Raum. Es sind vielmehr Farbräume, die durch den transparenten Grund in der Schwebe gehalten werden. Das Ereignisfeld des Bildes ist bestimmt von inneren Eindrücken der wirklichen Welt. Verstehen und Erkennen erfolgt nicht auf intellektueller Basis, sondern in einem sinnlichen Aneignungsverfahren, ganz autonom aus dem Bild heraus. Es entstehen also nichtrealistische, sensibel komponierte Farbräume und -strukturen, gestisch heftig und abwägend überlegt. Alles wird elementar begriffen, verkörpert somit auch das jeweilige Energiepotential, das sich in den Farbzonen gegenseitig komplementär steigert.

Die Farbgebung unternimmt Schuto oft innerhalb des Spektrums aus dem Rot, Gelb, Grün, Blau unter Ausschluß des Violett. Rot verwendet die Malerin seltener, ihre "Lieblingsbilder sind die blauen", auch die Farbe Grün schätzt sie, und ich muß hinzufügen, daß das rote Bild eine besondere Stellung in ihrem Werk einnimmt.
Der Klang des Bildes wird in der Regel von einer Farbe bestimmt, es sind blaue, grüne, gelbe oder rote Bilder. Überhaupt darf man sich von dem Farbklang, der einem zuerst ins Auge fällt, nicht täuschen lassen in dem Sinne, man hätte es wirklich nur mit einer, mit zwei oder drei Farben zu tun. Schutos Bilder bestehen aus einer Textur, in die die Farbdominanzen mit unzählige Farbmodulationen verwoben sind.
Mit diesen Bemerkungen ist die Musikalität in ihren Bildern angesprochen. Es geht Schuto um Farb - Klang - Harmonien, die eine bloße farbliche Repräsentanz der Dinge überschreiten sollen. Ziel ist der eng verzahnte kompositorische Zusammenhang der einzelnen Bildformen. Der Begriff des Modellierens gehört der bildenden Kunst an. Mit ihm ist in der Malerei die plastische Ausformung eines Gegenstandes bezeichnet, insbesondere mit Hilfe von Licht und Schatten. Modulieren hingegen ist ein Terminus aus der Musik. Er beschreibt den Übergang einer Tonart in die nächste, die Überleitung von Harmonien, wobei einzelne Töne beibehalten und nur ein einziger verändert wird. Der Akkord ist damit Glied eines anderen tonalen Zusammenhangs und erhält eine neue Funktion. Durch die malerische Modulation erzeugt Schuto farblich Distanzwerte und läßt auf diese Weise ein vibrierendes, bewegliches Bildkorpus entstehen.

Die Lust an der wiederentdeckten Malerei ist überwältigend spürbar; jenseits der Kenntnis über die objektiven Beweggründe der Künstlerin Gisela Schuto sind abstrakte, in der Farbmaterialität aber wieder konkrete Bilder großer Eigenständigkeit entstanden, die unsere hoffentlich noch vorhandene Emotionsfähigkeit erneut entfachen können. Max Beckmann charakterisiert diese programmatisch-malerische Vorgehensweise: "Mit einer furchtbaren vitalen Sinnlichkeit muß ich die Wahrheit mit dem Auge suchen. Ich betone besonders Augen, denn nichts wäre lächerlicher und belangloser wie eine zerebrale Weltanschauung ohne den schrecklichen Furor der Sinne für jede Form von Schönheit und Häßlichkeit des Sichtbaren." (Max Beckmann - Über meine Malerei, 1938)

 


 

 



Gärtnerin,1997
Öl auf Leinwand,
120 x 90 cm

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Publikation: NIKE NEW ART IN EUROPE No 59 (1998)
Autor: Joh. W. Glaw
Farbe im Prozeß

Tafelbilder von großer malerischer Intensität, in der beredten Sprache der Farbe unmittelbarer Ausdruck des Expressiv-Gestischen in einer vom Prozessualen bestimmten Malerei: Farbe auf Leinwand (die aus dem Informell entwickelte, elementarste Definition von Bild), Schicht um Schicht aufgetragen, sich verdichtend und wechselseitig steigernd, dabei manchmal Früheres plakativ überlagernd, manchmal es auch transparent durchscheinen lassend; gleichsam mit Farbe in Farbe modelliert, erweitert sich die Fläche in den Raum, gestaltet sich eine Oberfläche, deren Struktur mal glatt und glänzend, dann an anderer Stelle wieder aufgebrochen und schrundig wirkt; häufig bestimmt kräftige Primärfarbigkeit das Bild, den Raum oftmals linear erschließend, dann aber auch wieder eine eher gedämpfte Palette von mit Weiß gebrochenen Farben, Fläche demonstrierend; immer wieder Rot und Grün, in direkte Komplementarität gesetzt, Blau als kontrapunktisches Element nur sparsam auftretend, häufig auf die im Hintergrund befindlichen Spuren von Gelb bezogen, Orange- und Violettöne allenfalls marginal.
Der Versuch, diese Bilder in einen kunsthistorischen Kontext einzuordnen, läßt die Gedanken unvermittelt in Richtung Abstrakter Expressionismus gehen, womöglich sogar Action Painting; doch Vorsicht mit einer derart schnellen, vielleicht vorschnellen Zuschreibung, die sich einzig und allein an den Intentionen der Künstlerin zu orientieren hat. Das Werk von Gisela Schuto, Jahrgang 1955, ist nämlich nicht bestimmt von der kognitiv geprägten Diskussion um den Kunst-Begriff in einer quasi philosophischen Ausrichtung, sondern es bezieht sich ganz bewußt nur auf einen engen Bereich innerhalb der traditionellen Gattungen der Kunst: die Tafelmalerei. Ganz Malerin, die sie denn ist, sucht sie deren Möglichkeiten und Grenzen in unserer heutigen Zeit auszuloten, dabei der Bedeutung der Farbe als Ausdrucksträger nachspührend.

Diesem Moment liegt eine Entwicklung zugrunde, die vor mehr als 10 Jahren ihren Anfang noch in der Konkretion, im Gegenständlichen hat. Von einem derartigen malerischen Ansatz hat sich Gisela Schuto inzwischen Schritt für Schritt entfernt: einerseits durch bewußten Verzicht auf jede Form von Abbildhaftigkeit, andererseits durch zunehmend expressive Farbsetzungen auch im Ungegenständlichen, wo früher noch die Schwarz-Weiß-Modulationen dominierten, und schließlich auch eine Erweiterung der Begrenzung der Bildtafeln durch größer werdende Formate.

Diese Entwicklung hat bei Gisela Schuto dazu geführt, daß ihre künstlerische Arbeit heute durch konkrete Prozeßhaftigkeit bestimmt wird: nach ersten Setzungen durch die Künstlerin, getragen auch von ihrer eigenen, ganz persönlichen Befindlichkeit, entwickelt sich das Bild im weiteren Verlauf (trotz möglicher neuer Setzungen) oftmals aus sich selbst heraus; die Künstlerin reagiert bisweilen nur auf denjeweiligen Ist-Zustand des Bildes, klärt und verstärkt, um auf diese Weise zu verdichten. Da dabei der Klang einer Farbe, im Einklang mit anderen Farbe, von zentraler Bedeutung für Gisela Schuto ist, läßt es gerechtfertigt erscheinen, hier von Komposition im wahrsten Sinne des Wortes zu sprechen. Denn das Ergebnis entspricht einer Art von Sinfonie aus Farben, die sich ausschließlich auf die sinnliche Erfahrungswelt des Betrachters ausrichten - ein Augenschmaus in einem durchaus barocken Sinne.

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