Texte zur Malerei |
Publikation: NIKE
NEW ART IN EUROPE No 57 (1997) Für Gisela Schuto
ist das Bild ein Abenteuer, ein unkalkulierbares Risiko. Ihre Emotionen
treffen die Entscheidungen während des Arbeitsprozesses, wobei es
sicherlich immer wieder Arbeitsphasen gibt, in denen sich das Bild gleichsam
aus sich selbst weitermalt, das heißt: Die Malerin gehorcht ihm.
In einem Rhythmus von Errichten und Zerstören entsteht das Bild.
Diese Bilder sind nicht mehr das zwangsläufige Ergebnis von Vorleistungen - die mag es sicherlich gegeben haben - sie sind ihre ureigensten Empfindungen, auch ihre langjährigen Erfahrungen, die sie nun dem Bild vermittelt. Schuto hat in ihren Arbeiten drei Ebenen durchschritten: Die einer illusionistischen und aus der expressionistischen Traditionen stammenden Gegenständlichkeit, die einer neuen und sich materiell im Bild darstellenden Wirklichkeit und schließlich die einer im Bild selbst liegenden und visuell vergegenwärtigten Kraft - und dieser kommt Gisela Schuto innerlich am nächsten. Schuto ist über die Gegenständlichkeit und die von ihr inspirierte und manipulierte Materialität zu dem Bild selbst vorgestoßen, das allen ihren früheren Überlegungen zugrunde lag. Wenn sie vorher und vielleicht unbewußt vom Bild genommen und davon profitiert hat, so gibt sie in ihren jetzigen Arbeiten dem Bild nun ihre Erfahrungen zurück. Es hat keinen Zweck, kunsthistorische, inhaltliche oder aktuelle Nachweise in diesen Bildern zu suchen. Nicht ihre Vision bestimmt das Bild, sondern das Bild selbst erzwingt den Abbruch oder die Korrektur von Tätigkeiten, die ihr nicht mehr dienlich sind. Ganz unabhängig davon, was wir heute von einem Bild erwarten, was wir ihm zumuten und aufnötigen, versucht hier eine Künstlerin nach langen und schmerzlichen Erfahrungen die Vorstellung von einem heute möglichen Bild zu verwirklichen. Der Betrachter nimmt die Bildelemente nicht nur als optischen Reiz auf, sondern er erfühlt das Materiell der Obefläche, die vom Auge in immer neuer Stimulanz abgetastet wird, so daß sich auch das Prozeßhafte des Gestaltungsaktes, das Werden des Bildes, nachspüren läßt. In der Weise, wie das Auge das Bild erfährt, kann auch der Schaffensvorgang der Künstlerin beschrieben werden; dies gilt nicht nur für die vorliegenden Arbeiten. Jenseits aller Überlegungen erfolgt der Aufbau keiner vorbestimmbaren oder auch vorgedachten Komposition; vielmehr verändert sich die Gestaltung je nach Vorstellung, indem Schuto auf das bereits Gefertigte reagiert. Durch intuitives künstlerisches Kalkül gebändigt, entwickelt sie aus der Farbe die Form, trägt Schicht um Schicht auf, bis es zu einer kraftvollen Bildordnung kommt. Dieser Vorgang, bei dem der untere Malgrund nie vollkommen vom oberen überdeckt wird, suggeriert eine Räumlichkeit die aber nur dem Bild eigen ist und wenig zu tun hat mit der äußeren Wirklichkeit, dem erfahrbaren physikalischen Raum. Es sind vielmehr Farbräume, die durch den transparenten Grund in der Schwebe gehalten werden. Das Ereignisfeld des Bildes ist bestimmt von inneren Eindrücken der wirklichen Welt. Verstehen und Erkennen erfolgt nicht auf intellektueller Basis, sondern in einem sinnlichen Aneignungsverfahren, ganz autonom aus dem Bild heraus. Es entstehen also nichtrealistische, sensibel komponierte Farbräume und -strukturen, gestisch heftig und abwägend überlegt. Alles wird elementar begriffen, verkörpert somit auch das jeweilige Energiepotential, das sich in den Farbzonen gegenseitig komplementär steigert. Die Farbgebung unternimmt
Schuto oft innerhalb des Spektrums aus dem Rot, Gelb, Grün, Blau
unter Ausschluß des Violett. Rot verwendet die Malerin seltener,
ihre "Lieblingsbilder sind die blauen", auch die Farbe Grün
schätzt sie, und ich muß hinzufügen, daß das rote
Bild eine besondere Stellung in ihrem Werk einnimmt. Die Lust an der wiederentdeckten
Malerei ist überwältigend spürbar; jenseits der Kenntnis über die objektiven Beweggründe der Künstlerin Gisela Schuto
sind abstrakte, in der Farbmaterialität aber wieder konkrete Bilder
großer Eigenständigkeit entstanden, die unsere hoffentlich
noch vorhandene Emotionsfähigkeit erneut entfachen können. Max
Beckmann charakterisiert diese programmatisch-malerische Vorgehensweise:
"Mit einer furchtbaren vitalen Sinnlichkeit muß ich die Wahrheit
mit dem Auge suchen. Ich betone besonders Augen, denn nichts wäre
lächerlicher und belangloser wie eine zerebrale Weltanschauung ohne
den schrecklichen Furor der Sinne für jede Form von Schönheit
und Häßlichkeit des Sichtbaren." (Max Beckmann - Über
meine Malerei, 1938)
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Publikation: NIKE
NEW ART IN EUROPE No 59 (1998) Diesem Moment liegt eine Entwicklung zugrunde, die vor mehr als 10 Jahren ihren Anfang noch in der Konkretion, im Gegenständlichen hat. Von einem derartigen malerischen Ansatz hat sich Gisela Schuto inzwischen Schritt für Schritt entfernt: einerseits durch bewußten Verzicht auf jede Form von Abbildhaftigkeit, andererseits durch zunehmend expressive Farbsetzungen auch im Ungegenständlichen, wo früher noch die Schwarz-Weiß-Modulationen dominierten, und schließlich auch eine Erweiterung der Begrenzung der Bildtafeln durch größer werdende Formate. Diese Entwicklung
hat bei Gisela Schuto dazu geführt, daß ihre künstlerische
Arbeit heute durch konkrete Prozeßhaftigkeit bestimmt wird: nach
ersten Setzungen durch die Künstlerin, getragen auch von ihrer eigenen,
ganz persönlichen Befindlichkeit, entwickelt sich das Bild im weiteren
Verlauf (trotz möglicher neuer Setzungen) oftmals aus sich selbst
heraus; die Künstlerin reagiert bisweilen nur auf denjeweiligen Ist-Zustand
des Bildes, klärt und verstärkt, um auf diese Weise zu verdichten.
Da dabei der Klang einer Farbe, im Einklang mit anderen Farbe, von zentraler
Bedeutung für Gisela Schuto ist, läßt es gerechtfertigt
erscheinen, hier von Komposition im wahrsten Sinne des Wortes zu sprechen.
Denn das Ergebnis entspricht einer Art von Sinfonie aus Farben, die sich
ausschließlich auf die sinnliche Erfahrungswelt des Betrachters
ausrichten - ein Augenschmaus in einem durchaus barocken Sinne. |